Die europäischen Wählerinnen und Wähler sind enttäuscht: Vor der Wahl wurde der Eindruck erweckt, es ginge um die Wahl eines Spitzenkandidaten an die Spitze der EU-Kommission. Nach der Wahl wird das Amt statt dessen unter den Regierungschefs in Geheimverhandlungen ausgekungelt.
Ursula von der Leyen (CDU) bringt als „Empfehlung“ nur die Erkenntnis mit, eine außergewöhnlich schlechte Verteidigungsministerin gewesen zu sein. In der Truppe über die Maßen unbeliebt, hat sie eine ganze Reihe von Affären und Skandalen zu verantworten und hinterlässt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der sich an der Frage abzuarbeiten hat, warum Beratungsaufträge an den Ausschreibungsregeln vorbei erteilt wurden.
Ihre Eignung zur Führung der wichtigsten EU-Institution darf daher getrost bezweifelt werden. Dass aber keiner der den Wählern zuvor als „Spitzenkandidaten“ präsentierten Personen, also weder der Wahlsieger Manfred Weber (Deutschland, CSU) noch der Zweitplatzierte Frans Timmermans (Niederlande, PvdA) dem EU-Parlament als neuer Präsident der EU-Kommission vorgeschlagen werden, zerrüttet das Vertrauen der EU-Bürgerschaft in die Union, ihre Institutionen und deren Vertreter zutiefst. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hebelt nun im Verbund mit ihren Amtskollegen das Versprechen aus, das durch die Präsentation von Spitzenkandidaten im Wahlkampf gegeben wurde. Wenn man das eine demokratische Entscheidung nennen will, dann ist das eine gleich mehrfach indirekte, denn schon die Bundeskanzlerin wurde ja nicht vom Volk direkt gewählt, sondern durch seine Repräsentanten im Bundestag.
Nachdem klar war, dass Manfred Weber auf keinen Fall die erforderliche Mehrheit hinter sich würde vereinen können, scheiterte die Nominierung Timmermans‘ offenbar am Veto Italiens und einiger osteuropäischen Staaten. In allen sind Rechtspopulisten an der Macht, die von dieser nun wirkungsvoll Gebrauch machten. Gemeinsam haben sie zudem, dass es dort Bemühungen zur Abschaffung rechtsstaatlicher Prinzipien gibt, die sich in unterschiedlichen Fortschrittsstadien befinden. Von Timmermans dürfte getrost erwartet werden, dass er dagegen energisch vorgeht.
Unerträglich, dass Rechtspopulisten wie Orban und Salvini nun entscheiden, wer Präsident der wichtigsten europäischen Behörde wird. Und vor allem auch: wer nicht. Wären sich die anderen Regierungschefs einig, gäbe es bestimmt die Möglichkeit, die Querulanten einzuhegen. Unter den Druckmitteln, derer man sich bedienen könnte, erscheinen solche, die mit finanziellen Einbußen einhergehen, am wirkungsvollsten. Anlässe gäbe es genug, den Verrat an europäischen Werten entsprechend zu sanktionieren. Und wäre man beispielsweise schon früher konsequent gegen Orban und andere vorgegangen, stünden diese womöglich heute bereits ohne Stimmrechte da, damit auch ohne Einflussmöglichkeit auf diese wichtige Personalie.
Aber nein. Deutschland und Frankreich entzweiten sich, und auch andere kochten ihr eigenes Süppchen. Und so präsentiert man die nach dem kleinstem gemeinsamen Nenner gefundene Kandidatin. Europas Wählerschaft fühlt sich verarscht. Die EU-Kommission bekommt nicht die bestmögliche Führung, die Europa-Skeptiker bekommen Aufwind, die Wahlbeteiligung wird beim nächsten Mal sinken, und selbst eingefleischte EU-Fans entwickeln ernsthafte Zweifel. So fahren sie Europa an die Wand.