Jetzt ist es heraus: Bestimmte Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke sollen als nachhaltig gelabelt werden. Wie gehen die Grünen mit dem Etikettenschwindel um?
Angeblich haben es bereits Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld ausgekungelt: Die Franzosen, die siebzig Prozent ihres Strombedarfs in Atomkraftwerken erzeugen, sollen ihren Willen bekommen. Nuklearstrom wird als nachhaltig eingestuft, wodurch Investitionen in neue AKWs gelenkt werden sollen. Im Gegenzug erfahren die vom bald atomkraftfreien Deutschland als Brückentechnologie vorgesehenen Gas-Kraftwerke die gleiche Behandlung.
Atom- und Gaskraftwerke bekommen also ein grünes Label, so schlägt es die EU-Kommission vor, weil sie kein (Atom) oder weniger (Erdgas) CO₂ in die Atmosphäre pusten als Kohlekraftwerke.
Fossile Energieträger als nachhaltig zu markieren, stößt indessen ebenso auf massiven Widerstand bei den Grünen wie das Greenwashing der als hochrisikohaft eingestuften Erzeugung von Atomstrom, vor allen Dingen bei deren Basis. Auch einige Amtsträger äußerten bereits ihren Widerwillen gegen das Brüsseler Greenwashing.
Die Franzosen sehen die von ihren Kernkraftwerken ausgehenden Gefahren sehr gelassen. Die bisherigen, ausgesprochen katastrophalen Erfahrungen zum Beispiel in Tschernobyl und Fukushima blenden sie einfach aus. Dass die Endlagerung des Atommülls immer noch völlig ungeklärt ist, dass die nachfolgenden Generationen sich noch zigtausende von Jahren mit den strahlenden Hinterlassenschaften herumplagen müssen – geht (nicht nur) den Franzosen am A… vorbei. So funktioniert das allerdings in Deutschland nicht, vor allem nicht in den grün bewegten Bevölkerungsteilen.
Aber die Interessenlage ist nun einmal so, dass man hierzulande auf die zumindest vorübergehende Nutzung von Erdgas im Interesse der Versorgungssicherheit nicht verzichten will. Und wenn die Franzosen ihr grünes Label für Nuklearenergie bekommen, dann wollen die Deutschen eben auch eins für ihr Erdgas. So einfach ist das.
Und auch wiederum nicht. Würde Deutschland die Zustimmung zu Macrons Vorstoß verweigern, ließe sich der EU-Beschluss dennoch nicht aufhalten. Denn für eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags müssten 20 EU-Staaten dagegen stimmen, die 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, und außerdem 353 Abgeordnete im EU-Parlament – und das scheint eigentlich nicht erreichbar. Also kommt es wohl zu dem beschriebenen Kuhhandel, demzufolge auch Gaskraftwerke die Nachhaltigkeits-Klassifizierung erhalten sollen.
Das wird dann beständige Versuche zur Folge haben, Investitionen in neue Gas- und Krenkraftwerke zu lenken, Geldmittel, die der Förderung innovativer Technologien für erneuerbare Energien fehlen werden. So wird die Energiewende nicht nur nicht gefördert, sondern sie wird auch behindert und verzögert.
Andererseits ist auch denkbar, dass institutionelle Anleger, die viel Kapital anzulegen haben, der durchschaubaren Logik hinter dem Kuhhandel nicht folgen werden und lieber in wirklich grüne Projekte investieren, also in erneuerbare Energien. Aber das bleibt abzuwarten.
Österreich hat angekündigt, gegen einen Beschluss im Sinne des Kommissions-Vorschlags klagen zu wollen. Robert Habeck (Bündnis 90 / Die Grünen) hat zwar seine ablehnende Haltung kundgetan, hingegen nichts über einen aktiven Widerstand geäußert. Dass Deutschland sich also einer Klage Österreichs anschließen würde, ist wohl eher unwahrscheinlich, zumal die FDP (natürlich) für die Neu-Klassifizierung ist und große Teile der SPD ebenfalls.
Und damit bekämen die Grünen ein großes Problem: Wenn sich die Führungsriege zähneknirschend mit dem grünen Etikett für Gas- und Atomkraftwerke abfinden würde, die Basis aber nicht mitzöge, käme es womöglich zu einer Zerreißprobe. Wenn man sich die Ziele der Grünen ansieht, ihr Programm und die Aussagen, mit denen sie im Wahlkampf unterwegs waren, wäre die Zustimmung zu dem Kommissionsbeschluss ein ganz besonders krasser Wortbruch, den sie sich eigentlich nicht leisten können.
Sie können nun also entweder ihre Mitglieder und Wähler vor den Kopf stoßen, oder eine Zerreißprobe der rot-grün-gelben Koalition provozieren. Ehrlich gesagt: Sie sollten Letzteres tun. Es geht um nichts anderes als den grünen Markenkern. Um ihre Identität.