Liberale Variante der «Reise nach Jerusalem»

Niemand geht leer aus: Liberale Reise nach Jerusalem - Foto: Screenshot ZDF / www.heute.de
Niemand geht leer aus: Liberale Reise nach Jerusalem - Foto: Screenshot ZDF / www.heute.de

Ausreichend Stühle für alle – Niemand geht leer aus

Kennzeichnend für das von vielen Familien- und anderen Feiern bekannte, gleichermaßen geliebte wie gehasste Gesellschaftsspiel «Reise nach Jerusalem» ist eigentlich, dass in jeder Runde ein Stuhl entfernt wird und dadurch einer der Spielteilnehmer ausscheiden muss. Nicht so bei der freidemokratischen Version: Dort sind genügend Sitzmöbel für alle Spielteilnehmer vorhanden, jeder bekommt seinen Platz (besser: Posten), und sogar für die durch Rainer Brüderle ersetzte Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, fand sich noch ein Höckerchen, auf dem sie als Vize-Parteivorsitzende Platz nehmen durfte.

Alle sind also versorgt, so weit, so gut. Und Außenminister Guido Westerwelle, der als Parteivorsitzender verjagt und von Philipp Rösler abgelöst wurde, bleibt Außenminister. Seine Partei hält ihn als Vorsitzenden zwar für untauglich, traut ihm das Ministeramt aber durchaus zu. Mehr noch: Die Parteimitglieder bescheinigen ihm hervorragende Leistungen als Minister.

Was genau für eine derartige kollektive Wahrnehmungstrübung gesorgt hat, bleibt wohl ein parteiinternes Geheimnis. Der Wähler jedenfalls reibt sich verblüfft die Augen: Da wird der Parteivorsitzende weggemobbt, weil er der FDP inzwischen viel mehr schadet als nutzt, gleichzeitig dem Steuern zahlenden Wahlvolk aber zugemutet, sich überall auf der Welt von eben diesem für zu leicht befundenden Politiker vertreten zu lassen. Irgendwer hätte den Liberalen wohl doch einen Stuhl klauen sollen.

Was bleibt, ist also nichts als eine Rochade im Führungszirkel, keine wirkliche Erneuerung. Dieselben Köpfe wie zuvor, lediglich Silvana Koch-Mehrin blieb unversorgt. Aber auch nur auf den ersten Blick. Denn «das schöne Gesicht der FDP» hatte zuvor seine Ämter in Partei und Europaparlament niedergelegt, weil Koch-Mehrin sich dem Verdacht ausgesetzt sah, ihre Doktorarbeit «geguttenbergt» zu haben. Die Plagiatsvorwürfe werden von der Universität Heidelberg derzeit geprüft. Dessen ungeachtet bleibt sie aber Europa-Abgeordnete, wird also nicht den Sozialsystemen anheim fallen, muss sich allerdings künftig mit den Abgeordnetenbezügen von rund achttausend Euro plus etlicher Pauschalzulagen begnügen. Auch hier gilt: In der Partei nicht mehr brauchbar, also darf der Steuerzahler für üppige Alimentierung sorgen.

Liberale Selbstbedienungsmentalität hin oder her: Für den neuen Vorsitzenden Rösler kann es keinen besseren Zeitpunkt für die Machtübernahme geben. In den aktuellen Umfragen dümpelt die FDP bei Zustimmungswerten um die vier Prozent dahin, würde also gar nicht mehr in den Bundestag einziehen, wenn jetzt Wahlen anstünden. Das heißt für Philipp Rösler: Es kann ja nur noch besser werden. Und so wird auch er, genau wie seinem Vorgänger attestiert, ein sehr erfolgreicher Parteivorsitzender werden – vorausgesetzt, die Partei überspringt bei der nächsten Bundestagswahl einigermaßen deutlich die Fünf-Prozent-Hürde.

Es sei denn, es kommt anders. Anders in dem Sinne, dass die FDP auf dem gegenwärtigen Zustimmungsniveau verharrt. Dann stellt sich ernsthaft die Frage, wozu die FDP, abgesehen von der großzügigen Versorgung von Hoteliers und anderen ihr nahe Stehenden, überhaupt noch gebraucht wird. Der Meinung, «ein Aus der FDP würde eine gefährliche Lücke im demokratischen Parteiensystem Deutschlands reißen», geäußert vom Kommentator der heutigen «Rheinischen Post», muss man sich wirklich nicht unbedingt anschließen.

Womöglich käme es dann dazu, dass die FDP sich wieder der in früheren Jahren definierten Auflösung ihrer Abkürzung anpasst: «Fast drei Prozent». Gefährliche Lücke? Kaum anzunehmen.

Dieser Kommentar bei 24PR.de.

 

1 Kommentar

  1. Tja wer will es der FDP verübeln, dass sie an ihren Steuersenkungsplänen festhält. Das kann ja wohl niemand ernsthaft, denn die FDP denkt nur an sich selbst. Wenn sie die Steuersenkungen nicht durchsetzen kann, dann ist sie weg vom Fenster. Gut für Deutschland (?) schlecht für die Partei. Manche Parteien sind halt einfach nur Opositionsparteien. Erst, wenn sie Regierungsverantwortung haben, zeigt sich, ob sie im Sinne Deutschlands denken.

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