Über die Oberlinke Sarah Wagenknecht mag jeder denken, was er möchte. Wenn sie aber den Wechsel von Ronald Profalla (CDU) in den Bahnvorstand mit dem Satz kommentiert: „Das ist Korruption nach dem Motto: Gezahlt wird später!“, dann hat sie einfach nur recht.
Bei genauerer Betrachtung kann man Deutschland mit gutem Grund als „Bananerepublik“ betrachten. Es fängt schon damit an, dass Deutschland zwar das UN-Abkommen zur Bekämpfung der Korruption bereits 2003 unterschrieben, aber nie ratifiziert hat. CDU, CSU und FDP betätigten immer wieder die Bremse, und auch aktuell scheitert es an der Mitwirkung von CDU und CSU. Deutschland befindet sich damit in Gesellschaft von Ländern wie Syrien, Sudan und Nordkorea.
In den immer wieder aufkommenden Diskussionen um Bundestagsabgeordnete bzw. Regierungsmitglieder, die nach ihrem Ausscheiden ohne große Skrupel in hochdotierte Positionen bei Wirtschaftsunternehmen wechseln, wird gern das Argument vorgebracht, man müsse als Bundestagsabgeordnete die Besten gewinnen. Würden denen die lukrativen Anschlussjobs verwehrt, bekäme man sie nicht – zumal ja auch die Abgeordnetenbesoldung recht mager sei. In der Wirtschaft sei es für diese „Besten“ leicht möglich, erheblich mehr zu verdienen.
Diese fadenscheinige Argumentation hat gleich mehrere Erkenntnisse im Gefolge. Zunächst einmal wird deutlich, wie abgehoben und weltfremd die Urheber sind: Schon ein „normaler“ Abgeordneter bekommt im Monat rund 10 000 Euro, von anderen Vorteilen (z. B. Altersversorgung) mal ganz abgesehen – 120 000 Euro im Jahr verdienen als Angestellte wohl die wenigsten. Sie impliziert auch, dass die „Besten“ unseres Landes jene sind, denen es gelingt, am meisten Geld zu scheffeln – eine erschreckende Vorstellung. Sie verkennt, dass, sichtbar auch am Beispiel Profalla, die Wirtschaft nur jene zu Millionären macht, die zuvor in ihren Funktionen die so begehrten Vorzüge erworben und / oder, das darf man wohl getrost vermuten, sich auch bei der Beeinflussung von Entscheidungen und in ihrem Verhalten als den Anwerbern wohlgesonnen erwiesen haben.
Auch wenn, wie zum Beispiel weiland im Fall des Altkanzlers Gerhard Schröder (SPD), dem unterstellt wird, als Amtsträger Partei für die Interessen des Energieriesen Gazprom ergriffen zu haben, um sofort nach seiner Wahlniederlage einen hochbezahlten Posten bei einer Gazprom-Tochter zu übernehmen, Politiker aus einem Amt heraus und genau deshalb, weil sie es innehatten, das große Geld zu verdienen beginnen, geht die erwähnte Betrachtungsweise fehl. Der umgekehrte Fall, dass hochbezahlte Manager als Abgeordnete in den Bundestag wechseln, kommt so gut wie gar nicht vor.
Politiker werden von Unternehmen gern wegen ihrer „guten Kontakte“ angeworben. Nicht selten gibt es darüber hinaus sogar direkte Zusammenhänge mit Entscheidungen von Amtsträgern und ihrer „Anschlussverwendeung“ – allein, beizukommen ist ihnen nie, schon weil es an strafrechtlichen Möglichkeiten fehlt, wie sie mit der Ratifizierung des Anti-Korruptions-Abkommens einhergehen müssten (siehe oben). Dieselben Politiker, die das Abkommen blocken, können später den Lohn dafür kassieren.
Übergangslos rückt das nächste, mit der Thematik eng verknüpfte, Grundübel in den Blick – nämlich das des Lobbyismus. Lobbyarbeit sorgt dafür, dass die Preise für Medikamente extrem hoch sind, dass es an Transparenz in vielen Bereichen wie beispielsweise der Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln (Stichwort „Ampel“) mangelt, dass immer wieder Interessengruppen, Verbände oder einzelne Unternehmen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen, ja, teilweise sogar durch eigene Mitarbeiter Gesetzestexte verfassen können. Aus dem Amt geschiedene Politiker haben für ihre hohe Bezahlung in den Unternehmen denn auch oft nichts anderes zu tun, als Lobbyarbeit zu verrichten und damit die Pfründe ihrer neuen Arbeitgeber zu sichern.
Dass dieses System so geschmiert funktioniert, haben sie ihrer jahrelangen Alimentierung durch die Steuerzahler und den Möglichkeiten, die ihnen ihre öffentlichen Ämter boten, zu verdanken. Ex-Politiker arbeiten in nahezu allen Branchen als Lobbyisten. Das System hat sich zu einer in hohem Maße undemokratischen Beeinflussung der politischen Prozesse auf nationaler und vor allem auch europäischer Ebene entwickelt. Bemühungen der Eindämmung bleiben einigen unter chronischer Geldknappheit leidenden Organisation wie LobbyControl oder Transparency International überlassen, politische Unterstützung kommt aus den großen Parteien, wenn überhaupt, dann bestenfalls halbherzig, nur mühsam deren Alibifunktion verschleiernd. Wie soll man die aktuellen Verhältnisse beschreiben, ohne den Begriff „Korruption“ zu verwenden? An den Verhältnissen wird sich nichts ändern, so lange das nicht auch die Wahlergebnisse tun – also voraussichtlich in diesem Jahrhundert nicht mehr.
Und selbst wenn – was ließe sich denn überhaupt verbessern, wenn man mal die menschliche Natur als gegeben hinnimmt? Eine Karenzzeit soll helfen, meinen viele. Mag sein, dass eine „Abkühlungsphase“ von zwei, drei, vier Jahren der Wirtschaft einen Teil der Motivation nimmt, Millionen in ehemalige Politiker und deren „Kontakte“ zu investieren. Dass aber Politiker für ihr Wohlverhalten durch Beratungs-, Vorstands- und andere gut bezahlte Jobs belohnt werden, lässt sich damit nicht unterbinden.
Hilfreich wäre allenfalls, den Lobbyismus in seiner bisherigen Form ganz zu verbieten. Bis dahin wird LobbyControl wohl weiterhin seine Stadtrundfahrten anbieten: Mit dem Bus durch Berlin; Unternehmensrepräsentanzen, Verbandsbüros, PR-Agenturen, andere Lobbyisten und deren Aktivitäten werden vorgestellt. Zwei volle Stunden lang!