Artikel aktualisiert am 29.06.2018
Viersen (OPEN REPORT-kpl). Die Boeing 737-100 hob pünktlich um 7 Uhr 15 in Düsseldorf ab. Es war mein erster Flug seit längerer Zeit, und er sollte mich nach Dresden führen, zur mehrtägigen Stadtbesichtigung. Die kurze Flugzeit von knapp einer Stunde sah ich als Entschädigung fürs Frühaufstehen an; 4 Uhr dreißig ist eigentlich eine völlig indiskutable Zeit für meinen Wecker und mich.
Kaum war die Anschnallen-Lampe erloschen, machten sich die beiden zuckersüßen Stewards auf ihren Weg durch den Mittelgang und verteilten an jeden Fluggast einen Schokoriegel. Dann beluden sie ihre Wägelchen erneut, umd ihre erst kürzlich erstreikte Gehaltserhöhung durch die Ausgabe von Getränken zu rechtfertigen.
Ganz ehrlich: Ich könnte es auch gut und gern 50 Minuten lang ohne Schokolade und Kaffee aushalten, aber was soll’s; Lufthansa und Gewerkschaft wollen es wohl so. Interessant dagegen, was sich dann abspielte: Mindestens jeder zweite Reisende bestellte sich – na was wohl? Klar: Einen Tomatensaft.
Ich habe mich extra in drei Gaststätten erkundigt, um nicht nur auf meine eigenen, subjektiven Eindrücke angewiesen zu sein. Die haben sich jedenfalls bestätigt, denn in keinem der befragten Lokale hat es den letzten vier Wochen mehr als drei Gäste nach Tomatensaft gelüstet, die vorhandenen Bestände blieben so gut wie unangetastet. Sie müssen sogar regelmäßig auf den Verfall der Haltbarkeitsdaten überprüft werden.
Was, zum Geier, treibt also Menschen mit Flugticket an, so hoch oben ausgerechnet Tomatensaft zu trinken? Liegt es an der Wirkung?
Tomaten bestehen zu etwa 95 Prozent aus Wasser, Die restlichen Inhaltssoffe (zum Beispiel Vitamin A, B1, B2, C, E, Niacin, Kalium und Spurenelemente) stehen ja nicht gerade in Verdacht, für lustvolle Bewusstseinserweiterungen verantwortlich zu sein, ebenso wenig wie der rote Farstoff Lycopin. Manch Wissenschaftler vertritt gar die Ansicht, Tomaten seien in verschiedener Hinsicht krebserregend. Igitt! Und dennoch erhöht sich der Absatz von Tomatensaft ab einer Höhe von ca. 5 000 Metern dramatisch um tausende von Prozentpunkten gegenüber dem Verbrauch am Boden. Wie kommt das?
Eine Antwort auf diese für den Fortbestand unserer Art eigentlich sehr drängenden Frage fand ich nirgendwo. So wird denn wohl eines der letzten großen Rätsel der Menschheit noch eine Zeit lang seiner Lösung harren. Wir werden damit leben müssen.