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Digital-Verweigerer

Digital-Verweigerer - Bildquelle: pixabay.com

Zeitgenossen jenseits der Fünfzig outen sich gern als Computerhasser. Die digitale Abstinenz gilt sogar als chic. Aber sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

Es ist gewiss ein Privileg, sich als Rentner nicht mehr mit den neuesten Updates irgendwelcher Büroprogramme herumplagen zu müssen. Viele sind als Arbeitnehmer  durch die ständig wachsenden Anforderungen an ihre Fähigkeit, sich mit technischen Weiterentwicklungen auseinanderzusetzen, dermaßen ge- oder gar überfordert, dass sie im Privatleben von allem, was mit Computern zu tun hat, nichts mehr wissen wollen.

Internet? Das brauch‘ ich nicht!

Und so hat sich bei einer großen Gruppe unter den nicht ganz so Jungen eine Grundhaltung herausgebildet, die alles Digitale strikt ablehnt. Man braucht als Digital-Verweigerer kein Smartphone, weil man ja nicht „ins Internet“ will, kein Notebook und schon gar keine smarten Haushaltsgeräte. So weit, so gut – oder schlecht, je nach Standpunkt.

Aber ich kann es inzwischen nicht mehr hören, dieses „Internet? Brauch‘ ich nicht!“ Es wird oft eingesetzt im Sinne von „Ich habe es gar nicht nötig, mich mit so einem Quatsch zu befassen. Ich könnte ja, wenn ich wollte, aber ich will nicht, bin über sechzig Jahre ganz ohne all das gut zurecht gekommen.“ 

Und jeder, der sich mit all jenem abgibt, wird regelrecht bemitleidet von denen, die nicht wirklich wissen, was sie da überhaupt so verteufeln, wenn sie mit ihrer Verweigerung kokettieren. Wie gesagt: Ich kann es nicht mehr hören.

Und dann kommt für viele doch der Zeitpunkt, an dem die Neugier über die Abneigung siegt. Wer jedoch mit vierundsiebzig sein erstes Smartphone bekommt, seinen ersten Facebook-Account anlegt und Whatsapp aktiviert, ohne bis dahin irgendwelche Erfahrungen gesammelt zu haben, setzt sich einer ganzen Reihe von Risiken aus – allerdings ohne sie zu kennen. Und zwar selbst dann, wenn alle technischen Tücken überwunden und alle Bedienungsfehler ausgemerzt sind.

Denn jetzt ist eine ganz bestimmte Kompetenz gefragt, ohne die alle Nutzer von Online-Diensten und digitalen Informationsquellen in die Falle tappen. Gemeint sind einmal nicht die unseriösen Anbieter, die mit Online-Betrügereien und anderen kriminellen Machenschaften Schaden anrichten. Die Rede ist vielmehr von der Fähigkeit zur Bewertung von online dargereichten Informationen.

Fake News oder doch nicht?

Google News zum Beispiel versorgt uns stets mit den neuesten Nachrichten, rund um die Uhr. Das ist zunächst einmal prima. Bei Facebook lässt sich zu allem und jedem alles Mögliche in Erfahrung bringen. Eine feine Sache. Nachrichten, Klatsch und Tratsch finden sich in Unmengen im Netz, bei News-Portalen, in sozialen Netzwerken, Blogs, Online-Zeitungen und anderswo.  Und so erhält, wer nach der Quelle für eine bestimmte Behauptung fragt, gern mal die Antwort: „Das habe ich im Internet gelesen.“

Und genau da liegt das Problem. Google News saugt alles auf, was als Nachricht angeboten wird. Da steht dann die Meldung von Russia Today (RT) gleichberechtigt in einer Liste mit den Nachrichten der Tagesschau. Facebook und andere veröffentlichen jeden Quatsch, den irgendwer dort einstellt – so lange kein Foto mit einer nackten Frauenbrust dazugehört und keine schmutzigen Wörter, die auf irgendeiner geheimen Badlist stehen, enthalten sind. Darstellungen und Schilderungen von Gewalt in jeder erdenkbaren oder auch nicht mal zu ahnenden Abartigkeit werden hingegen veröffentlicht. Wer jetzt nicht in der Lage ist, die jeweiligen Anbieter nach ihrer Intention und Qualität unterscheiden zu können, wer nicht weiß, das RT ein Propaganda-Organ der russischen Regierung ist und Facebook jede Verschwörungstheorie eines jeden Spinners völlig ungeprüft verbreitet, der setzt sich der Gefahr aus, sein eigenes Weltbild manipulieren zu lassen und seine Meinungsbildung Einflüssen von Informationsquellen auszuliefern, die er sonst nicht mal mit der Kneifzange anpacken würde.

Die Informationsblase

Wer bei Facebook ein Like vergibt oder eine Link teilt, hat damit schon indirekt einen kleinen Teil seiner eigenen Ansichten offenbart, und jede weitere Aktion mehrt das Wissen der Zuckerberg-Computer. Google weiß aus dem Verlauf der Bewegungen der User im Netz, wofür sie sich interessieren, und wertet noch unzählige andere Quellen aus. Einmal einen Laserdrucker bei Amazon bestellt, sind die nächsten Google-Suchergebnislisten garantiert mit Werbeanzeigen verschiedener Drucker-Produzenten garniert. Facebook wird schon nach kurzer Zeit vorzugsweise Beiträge, Profile, Seiten und Gruppen zum Lesen und Abonnieren anbieten, die zu den eigenen Aktivitäten in Relation stehen. Manches der Angebote wird man nutzen, und schon sitzt man drin in der Informationsblase: Es werden zuallererst und vorzugsweise Inhalte angezeigt, die der eigenen Meinung entsprechen oder ihr zumindest nahekommen. 

Was das bedeutet, liegt auf der Hand: Es entsteht der Eindruck, dass die eigene Meinung dem Main Stream entspricht, dass andere Ansichten nicht vorhanden oder nur von geringer Bedeutung sind – es ergibt sich also ein Zerrbild. Dem kann im Grunde genommen nur entgehen, wer auf alle Aktionen wie eigene Beiträge, Likes und Links verzichtet, oder wer zum Ausgleich beispielsweise Gruppen abonniert, die ihm eigentlich total gegen den Strich gehen. Das ist nicht nur dem Nutzen der Portale abträglich und zu umständlich, sondern auch eine Art der Selbsttäuschung. Deshalb sollte man sich ganz einfach mit Wissen wappnen: Mit Wissen darüber, was von jedem einzelnen Herausgeber irgendwelcher Informationen zu halten ist.

Lese ich einen Beitrag in der Facebook-Gruppe „Gegen die Alternative für Deutschland“, dann ist mir klar, dass alle Beiträge tendenziell gegen die AfD gerichtet sind, die Mitglieder der Gruppe also weitgehend die gleiche Meinung haben.  Stammt eine Nachrichtenmeldung von der „Zeit„, dann ist die Urheberin ein in meinen Augen qualitativ sehr hochwertiges und seriöses Presseorgan – und so weiter: „Bild“ oder „Express“ = primitiver Boulevard, „Handelsblatt“ = konservative Finanzzeitung, „Russia Today“ bzw. „RT“ = lupenreine Putin-Propaganda mit vielen Fake News, die Liste ist genauso lang wie die Anzahl der von mir konsumierten Informationen. Gerade das Identifizieren von Fake News kann kompliziert sein, werden doch gern wahre Tatsachen vermischt mit Halbwahrheiten und dreisten Lügen, um eine bestimmte Tendenz zu erzeugen.

Wem das mühsam vorkommt, dem sei gesagt: ist es. Zugleich führt mich jedoch niemand so leicht hinters Licht wie „Russia Today“ zigtausende unbedarfte Leser mit der Lügengeschichte über „Lisa“. Lange, nachdem die Falschmeldung enttarnt war, beharrte RT auf der Vergewaltigungslüge und provozierte unzählige Hass- und Wutkommentare gegen Flüchtlinge.  Zu versuchen, zu einer eigenen Bewertung von Informationsquellen auf der Grundlage möglichst umfassender Informationen zu gelangen, ist aber nicht nur anstrengend, sondern verschafft auch ein viel besseres Gefühl, mitunter auch ein wenig Genugtuung bei der Nutzung von Online-Diensten.

Wohl dem, der dafür genügend Zeit aufwenden kann. Aber es lohnt sich.