Einen wirklichen Kulturschock erleidet nicht, wer zum ersten Mal oder, wie ich, nach längerer Zeit mal wieder die USA besucht – zu vertraut sind uns die Bilder aus amerikanischen Städten, von amerikanischen Menschen und auch amerikanische Redensarten. Immerhin importieren wir von dort allerlei Kulturelles, von Hollywood-Filmen über Bestseller und musikalische Hits bis zu gewöhnlichen Kraftausdrücken.
Aber irgendwie ist es wie mit der Liebe: Was uns an anderen Menschen am meisten fasziniert, ist das, was sie von uns selbst unterscheidet; besonders deutlich zu spüren, wenn das Objekt der Begierde dem anderen Geschlecht angehört. Mit fremden Ländern und fernen Städten verhält es sich in gewisser Weise ähnlich.
Und oftmals sind es vor allem die Kleinigkeiten, die uns staunen lassen oder Verwunderung auslösen, vielleicht auch Neugier wecken und das Verlangen, mehr darüber zu erfahren, warum Dieses oder Jenes so und nicht wie zu Hause ist. Mir ging es zumindest so, als ich nach zwölf Jahren mal wieder in die USA reiste.
Gleich nach der Ankunft zum Zwischenstopp am Flughafen von Chicago galt es nach langem Flug ein dringendes, wenngleich menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Nach einigen Minuten war eine Toilette ausfindig gemacht. An die dort zu erwartenden Vorrichtungen hatte ich keine rechte Erinnerung mehr, weshalb mich das beinahe bis zum Rand der Klosettschüssel stehende Wasser zurückschrecken ließ. Wie sollte das funktionieren, schon rein technisch?
Im Vertrauen darauf, dass mich hier ohnehin niemand erkennen würde, und angesichts der inzwischen besonderen Dringlichkeit meines Verlangens nach Erleichterung wagte ich es dann aber doch. Die Betätigung des Abzugs löste einen schwer beschreibbaren, lautstarken Vorgang aus, an dessen Ende sich das Wasser einschließlich der von mir hinzugefügten Flüssigkeit sturzartig durch den Abfluss ergoss und schließlich in einem sich immer schneller drehenden Strudel von irgendwem laut schmatzend und schlürfend komplett abgesaugt wurde, wonach sich die Schüssel erneut zu füllen begann. Wie diese Mechanik mit den gelegentlich von Menschen dort hinterlassenen festeren Ausscheidungen fertig werden würde, wollte ich in diesem faszinierenden Moment noch gar nicht wissen.
Wie gesagt: Es sind die Kleinigkeiten die den Unterschied machen. Diese Art der Notdurftentsorgung fand ich in den nächsten Tagen überall vor, wo ich die alltäglichen Geschäfte erledigte – reine Gewohnheitssache also. Auf dem weiteren Weg zu meinem endgültigen Reiseziel Portland (Oregon) widerfuhren mir noch eine Reihe weiterer Erlebnisse, die in Deutschland so nicht erlebbar wären. Auffällig zum Beispiel der Kontrolleur am Immigrations-Schalter des Flughafens: Der thronte auf seinem Sitz und winkte jeweils mit einer majestätischen Bewegung seiner behandschuhten Finger den nächsten Einreisenden herbei, um ihn dann mit knappen, aber zackigen Kommandos abzufertigen. Oder die vielen Ü-60-Männer, die auf Rollstühlen durch Portland fahren und vermutlich kriegsversehrte Veteranen irgendwelcher Kriege sind, an denen die USA in den letzten Jahrzehnten beteiligt waren. Oder die Busfahrer, die für jeden dieser Rollstuhlfahrer sofort von ihrem Fahrersitz aufspringen und dafür sorgen, dass sie auch einen bequemen Platz finden. Oder die aufgeschlossenen, freundlichen Mitreisenden in den Stadtbussen von Portland, die den offensichtlich Fremden leutselig ansprechen und sofort über deutsches Bier reden wollen, wenn sie dessen Herkunftsland erfragt haben.
In den nächsten Tagen werden sich vermutlich noch einige Gelegenheiten geben, Erfahrungen mit den Besonderheiten des Gastgeberlandes zu machen. Es lebe der kleine Unterschied!