Und ist der Ruf erst ruiniert…

Mit besten Absichten

Die trauernde Witwe Marnie zieht nach Los Angeles, um ihrer Tochter Lori nah zu sein. Schnell entdeckt sie neue Ventile für ihre mütterlichen und romantischen Gefühle.

Vier Uhr neun. Vier Uhr neun morgens, wohlgemerkt – genau die Zeit, zu der mich die senile Bettflucht oftmals gnadenlos ereilt. Und was macht ein schlafgestörter Rentner, wenn es im höchsten Hochsommer noch dunkel und der Wunsch nach einer Fortsetzung erholsamer Nachtruhe unerfüllbar ist? Richtig: den Fernseher an.

Es ist inzwischen schon Gewohnheit, dass allenthalben Werbeanzeigen für Audiogeräte jeder erdenklichen Art aufploppen, sobald ich bei Amazon nach einem Bluetooth-Lautsprecher auch nur gesucht habe. Oder mir auf jede vorstellbare Weise Übernachtungsgelegenheiten aufgedrängt werden, sobald ich ein Wort wie „Hotel“ in einer Internet-Suche verwende. Google und andere wissen, wer ich bin, was ich bin und wo ich bin. Immer. Und was mir fehlt. Angeblich.

An diesem Morgen um vier Uhr neun schalte ich also den Fernseher ein. Das nächtliche Programm hat auf hunderten Kanälen eine schier unendliche Auswahl an zumeist unerträglichen Wiederholungen bereits x-mal abgedudelter Uralt-Serien zu bieten. Also sehen wir mal nach, was es bei Netflix gibt.

Der Streaming-Dienst hält eine beachtliche Anzahl an Filmen und Serien bereit, die mir in sortierter Form zum Konsum dargereicht werden. Geordnet sind die Angebote nach dem Grad der Übereinstimmung. Gemeint ist wohl die Übereinstimmung mit meinem Geschmack, die sich aus meinen bisherigen Sehgewohnheiten ermitteln lässt. Gleich oben in der Rubrik „Beliebt in Deutschland“ findet sich der US-Film „Mit besten Absichten“, in dem es um die trauernde Witwe Marnie geht, die „nach Los Angeles zieht, um ihrer Tochter Lori nah zu sein. Schnell entdeckt sie neue Ventile für ihre mütterlichen und romantischen Gefühle.“ Achtundneunzig Prozent Übereinstimmung. Was soll da schiefgehen?

Gegen sechs ist das Filmchen zu Ende. Mäßig unterhaltsam, recht gefühlig, nichts Besonderes. Ich scrolle rasch durch weitere Listen. „Im Winter ein Jahr“, „Anne with an E“, „Grace And Frankie“, „Queen Of The South“, „Gilmore Girls“, „New Girl“, „Good Witch“ oder „Milcheinschuss“ – schon die Titel der von Netflix für mich getroffenen Auswahl mit der höchsten Übereinstimmung lässt ahnen, um wen es geht: Dieser Account kann nur einer jungen Mutter mit postnataler Depression gehören oder einem gestörten Weichei, wahrscheinlich schwul.

Wie kommt Netflix dazu, mich für ein schwules Weichei zu halten? Wissen die nicht, dass die für mich beste dort bisher gezeigte Serie „Prison Break“ war, die knallharte Ausbruchs-Action mit Wentworth Miller? Immerhin noch neunzig Prozent Übereinstimmung habe ich mit dieser Serie. Aber eben achtundneunzig mit allen möglichen Schmachtfilmen.

Ob es hilft, wenn ich „Prison Break“ noch ein paar Mal laufen lasse? Sollte ich vielleicht weniger „Goodwife“ gucken und mehr „Killjoys“? Vielleicht aber richte ich meiner Frau auch einfach nur einen eigenen Account ein.