Günter Oettinger (CDU), der deutsche EU-Kommissar für Energie, hat sich in den letzten Wochen immer wieder zu Wort gemeldet, um seine Meinung zu Diesem und Jenem öffentlich kundzutun. Schon während der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen verlangte er Korrekturen, weil er die Wirtschaft unbotmäßig belastet sah, verlangte mal einen „Neustart“ der Energiewende, mal kartellrechtliche Erleichterungen für europäische IT-Konzerne oder drückte seine Abneigung gegen die IWF-Chefin Christine Lagarde als konservative Spitzenkandidatin für die Europawahl im Mai aus und forderte einen Amtsverzicht des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments ist.
Zuletzt äußerte er sein Unverständnis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Drei-Prozent-Hürde, verlangte einen Bürokratieabbau von EU-Parlament und Mitgliedstaaten oder eine Diversifizierung bei der Energieversorgung, wollte keine Sanktionen gegen Russland und nutzte die aktuelle Krise, um nach einer neuen Chance für Fracking zu rufen. Da versteht es sich eigentlich von selbst, dass Oettinger die „Rente mit 63“ fatal findet. Es interessiert ihn nicht, ob ein Problem zu seinem Arbeitsgebiet gehört, oder auch nicht: Seine Meinung ist ihm wichtig.
Nun ist Oettinger dem deutschen Wahlvolk noch aus seiner Zeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg (bis 2010) in nicht immer angenehmer Erinnerung. Unvergessen seine Trauerrede für Hans Filbinger, in der er erklärte, dieser sei kein Nationalsozialist gewesen, sondern ein Gegner des NS-Regimes. Unrühmlich und von persönlichen Verstrickungen geprägt war seine Rolle als Befürworter von „Stuttgart 21“, und seine Einflussnahme auf die EU-Kommission trug mit dazu bei, die deutsche Autoindustrie bei der Festlegung der Emmissions-Grenzwerte zu schonen.
Diesen Mann wollte die CDU den deutschen Wählern nicht mehr zumuten und schob ihn deshalb nach Brüssel ab. Dort treibt er aber (s. o.) weiterhin sein Unwesen, ohne dass ihn jemand bremst. Er beschränkt sich dabei auch nicht auf Themenbereiche, für die er zuständig ist, sondern meldet sich zu allem und jedem zu Wort und verhält sich dabei nicht anders als ein engagierter Lobbyist. Das wird dem von ihm ausgeübten Amt weder gerecht, noch ist es vor dem Hintergrund des zunehmenden Einflusses der europäischen Zentralverwaltung auf die Innnenpolitik der Mitgliedsländer hinnehmbar.
Ein Umdenken ist daher dringend geboten. Ein Umdenken in der Art, dass die von allen Parteien geübte Praxis beendet wird, mittelmäßig begabte, ungeliebte oder auch gescheiterte Politiker mit einem gut dotierten Posten in Brüssel zu versorgen. Im Gegenteil: Dorthin gehören wirklich nur die Besten. Und Oettinger gehört ersetzt.
Dieser Kommentar ist auch bei OPEN-REPORT erschienen.