Seit Jahren schon kaufe ich keine neuen Schuhe mehr. Denn zuletzt hatte ich große Mühe, welche zu finden, die mir 1. gefielen und die 2. einen Klettverschluss hatten.
Auf den legte ich größten Wert, weil mir das Binden der Schnürsenkel zu einer Schleife immer größere Schwierigkeiten bereitet. Schuld daran ist mein Bauchumfang. Bis zum vierzigsten Lebensjahr lief ja alles glatt; ich konnte essen, was und so viel ich wollte – mein Gewicht blieb konstant zwischen 65 und 70 kg. In den 10 Folgejahren kam jedes Jahr ein Kilo dazu, und mit fünfzig hatte ich die 80-Kilo-Marke geknackt.
Dabei dachte ich mir noch nicht viel; die Männer in meiner Verwandschaft väterlicherseits schoben ja immerhin allesamt eine mehr oder weniger kleine Plautze.vor sich her. Aber die Entwicklung setzte sich in gleicher Weise bis zum nächsten runden Gebrutstag fort, und mit 60 wog ich dann schon 90 kg. Herz-/Kreislaufprobleme kamen dazu, und ich hörte auf zu rauchen, begann mich an meine E-Zigaretten zu gewöhnen.
Was dann kam, hätte ich allerdings nicht für möglich gehalten: Innerhalb eines Jahres legte ich nochmal knapp 15 Kilo zu. Alle Bemühungen, weniger zu essen und mehr Bewegung in den Tagesablauf einzuplanen, führten nur dazu, dass sich mein Gewicht relativ konstant bei 103 kg einpendelte – mit allen Beschwernissen, die damit einhergehen. Was also tun?
Der Hausarzt vermutet, dass sich einige meiner zahlreichen in letzter Zeit aufgetretenen Wehwehchen in Luft auflösen, wenn ich mein Gewicht signifikant reduziere, und empfahl mir dann letzte Woche die Weight Watchers. Der Mann hat gut reden.
Etwas Besseres fiel mir aber auch nicht ein, und so saß ich dann gestern im „Treffen“ der WW (das ist die Insider-Bezeichnung für den Diät-Club). Übergewicht ist offenbar ein typisch weibliches Problem: Anwesend waren zehn Frauen und außer mir nur ein Mann. Der verkündete auf Nachfrage durch die WW-Hungerkünstlerin, die das Ganze veranstaltete und dabei unterstützt wurde von einer Assistentin, die dringend selbst eine WW-Migliedschaft beantragen sollte, dass er seit seinem Beitritt vor acht Wochen schon 12 Kilo abgenommen habe. Wow! Das will ich auch! Sein Beispiel weckte Begehrlichkeiten bei den anderen, nicht nur bei mir – und das war ja wohl auch der Sinn der Sache. Was kriegt der wohl dafür? Geld? Wohl eher Extra-ProPoints; er wirkte recht ausgehungert.
Eine knappe Stunde hörte ich dem Vortrag der Adipositas-Dompteuse zu, die völlig euphorisiert mit Begriffen wie „ProPoints“, „Sattmachertage“ und „Wochenextra“ um sich warf und eine Stimmung erzeugte wie in einer mobilen Zeltmission, mir noch aus Jugendtagen in übler Erinnerung. So weit, so gut, alles klar: Jedes Lebensmittel hat eine Punktzahl und ist bei Verzehr ins Tagebuch einzutragen. Täglich werden die Punkte addiert, das Tageslimit ist einzuhalten.
Anschließend die Stunde der Wahrheit: Ich musste auf die Waage, und die zeigte 105,8 Kilo. Klar, in voller Bekleidung, 2,3 Kilo mehr als morgens zu Hause ohne Jeans, Pullover und Schuhe. Mein erstes Ziel wird sein, die 100er Marke zu knacken, also 6 Kilo abzunehmen. Seitdem laufe ich jetzt immer mit dem Handy in der Tasche rum, und der Schrittzähler ist eingeschaltet. Das gibt nämlich Extra-Punkte, die in Nahrhaftes eintauschbar sind. Und jede, wirklich jede Nahrungsaufnahme wird über das Handy mittels WW-App in mein Tagebuch eingetragen, damit ich ja nicht mehr als die 42 mir zugteilten Punkte, richtiger: ProPoints pro Tag verfresse.
Bislang war das ausreichend. Heute Morgen habe ich sogar entgegen meiner früheren Gewohnheit gefrühstückt; das soll gut für mich sein, meint die WW-Missionarin. 8 Punkte für das Käsebrötchen im Kaffeeehaus schienen mir zwar ziemlich teuer, aber die haben mir kein Vollkornbrötchen, gegeben, sondern ein „normales“, und eine richtig fette (45% i. d. Tr.) Scheibe Gouda draufgepackt. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass sie für die belegten Brötchen immer Margarine statt Butter nehmen, wohl aus Profitsteigerungsgründen. Ist mir recht, denn sonst wären es noch ein oder zwei Punkte mehr gewesen. Dazu zwei Doppeltassen Kaffee für 0 Punkte. Mittags gab’s dann eine Packung Thunfischsalat „Mexicana“ (nochmal 8 Punkte), dazu vier trockene Scheiben Vollkorn-Knäckebrot (zusammen 4 Punkte). Der Apfel war gratis. Damit habe ich von meinen 42 insgesamt 20 Punkte verfuttert. Der Rest von 22 Punkten bleibt für’s Abendessen. Und dazu habe ich noch 8 Aktivitätspunkte „verdient“, weil ich vorhin eine Stunde spazieren war. Da kann ich dann abends so richtig reinhauen, voraussichtlich mit gegrillter Hähnchenbrust, die aber mariniert ist und darum mehr Punkte kosten wird.
Jetzt werde ich sehen, wie lange ich das durchhalte: Jeden Bissen erst bewerten, sprich: Wert in ProPoints ermitteln, und mit der Handy-App auf meinem Konto verbuchen. Immer drauf achten, nur ja nicht zu viele von diesen Points zu verfressen. Ständig drauf bedacht sein, regelmäßig pflanzliche Fette zu verzehren, aber bloß nicht zu viel davon. Und dann gilt es noch, die „Routinen“ zu protolollieren, die „Fit-Formeln“ nachzuhalten, und, und, und… Einen Versuch soll’s mir wert sein.
Sport…