Bundeskanzlerin Baerbock? Wir sollten uns schon mal dran gewöhnen

Annalena Baerbock

Annalena Baerbock - Bild: © Urban_Zintel

Mit Blick auf die Bundestagswahl im September spricht vieles für die Grünen. Die FDP läuft mit – und profitiert davon, dass sie derzeit nicht regieren muss.

Glückspilz des Monats ist für mich ganz eindeutig die FDP. Warum? Weil sie im Bund derzeit nichts zu melden hat. Man stelle sich einmal vor, die Freidemokraten säßen in einem wichtigen Bundesministerium, zum Beispiel dem für Wirtschaft oder dem für Gesundheit. Dann wären, davon bin ich überzeugt, Freie Demokraten fast schon zwangsläufig in Masken- oder artverwandte Skandale verwickelt. Denn die FDP ist nicht einfach nur wirtschaftsfreundlich, nein, nach meiner Wahrnehmung ist sie die Wirtschaft. Würden ihre Wahlergebnisse der Anzahl der Wähler entsprechen, deren Interessen sie vertritt, käme sie auf kaum mehr als drei oder vier Prozent. Mehr wohlhabende Rechtsanwälte, Zahnärzte, Steuerberater oder Top-Manager haben wir nämlich nicht. Seit Jahrzehnten wissen die Blau-Gelben dies trickreich zu verschleiern und erschleichen sich auch Stimmen von Wählern, denen Sie weismachen können, auch in ihrem Sinne zu arbeiten. Und darum sitzen sie in den Parlamenten.

Also: Schwein gehabt! Statt dessen bekommen jetzt die C-Parteien sämtliche Kübel Mist ab, die nicht nur über die Politiker ausgeleert werden, die sich in der Pandemie an der Not der Bevölkerung bereichert haben, sondern auch über die Parteien, denen sie angehören. Momentan ist das neben der CSU vor allem die CDU. Diese stellt mit Jens Spahn den Gesundheitsminister und mit Peter Altmaier den Wirtschaftsminister. Letzterer schafft es einfach nicht, die Coronahilfen auf die Bankkonten der gebeutelten und in ihrer Existenz bedrohten Unternehmer zu überweisen, und Jens Spahn wird schon als „Ankündigungsminister“ verspottet, weil er nichts von dem einhalten kann, was er gern so vollmundig verspricht. Es fehlt an Impfstoff, was zwar zu einem großen Teil auf das Konto der EU-Kommission geht, aber auch durch Spahns Hilflosigkeit bewirkt wurde, an Corona-Tests, die eigentlich schon seit zwei Wochen im Einsatz sein sollten, aber immer noch nicht da sind. Keiner weiß, was wie wann zu tun ist, weil der Gesundheitsminister nur vage Vorgaben liefert und sich ansonsten wegduckt.

Wenig hilfreich ist auch, wenn Spahn morgens den Bürgern empfiehlt, durch Kontaktvermeidung zur Eindämmung der Pandemie beizutragen, um dann beim Abendessen mit einem Dutzend Sponsoren Spenden für seine Partei einzuwerben, die zu allem Überfluss auch noch dadurch anrüchig werden, dass sie mit 9.999 Euro bitte tunlichst unter der Meldeschwelle liegen sollen.

Ungeschickter geht’s kaum, könnte man sagen. Aber damit ist es ja leider nicht getan. Denn jeder einzelne der Skandale und Skandälchen offenbart Charakterschwächen, die immer wieder mit Geld zu tun haben. Die letzte große, vergleichbare Krise verursachte der bezeichnenderweise immer noch hoch geachtete Altkanzler Helmut Kohl, der zwei Millionen D-Mark annahm und sich bis zuletzt weigerte, die Namen der Spender zu nennen. Kohls immer noch hohes Ansehen lässt ahnen, dass es so etwas wie Unrechtsbewusstsein bei den Christdemokraten nicht zu geben scheint. Und zwar seit langem nicht. Der heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nahm 1994 einen Spendenkoffer mit 100.000 D-Mark in bar von einem Rüstungslobbyisten an, und der damalige CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep lies sich 1991 in einem schweizerischen Restaurant gar gleich eine Million in bar von eben jenem Lobbyisten aushändigen.

Die bayerische Schwesterpartei muss sich hinter solchen Glanzleistungen aber nicht verstecken. Schon ihr Urvater Franz-Josef Strauß hatte eigentlich ständig irgendwelche Skandale an der Hacke, die bekanntesten sind wohl Starfighter-Affäre, Fibag-Affäre und Spiegel-Affäre. Anfang der 90er wurde dann bekannt, dass der bayerische Finanzminister Max Streibl Zuwendungen von Industrieunternehmen erhalten und bei der Vergabe von Aufträgen durch das Verteidigungsministerium „geholfen“ hatte. Im Bierzelt begrüßte Streibl am Aschermittwoch das Publikum mit „Saludos Amigos!“, um dann zu fragen: „Freunde zu haben, ist das eine Schande bei uns in der CSU?“ Die erste „Amigo-Affäre“ war geboren. Die zweite wurde dann 2013 bekannt. Hier ging es um Vetternwirtschaft (Nepotismus) unter bayerischen Landtagsabgeordneten. Sie hatten Ehepartner und Verwandte beschäftigt und mit öffentlichen Mitteln bezahlt.

Aus dem Gen-Pool dieser Abgeordneten-Spezies wurden wohl die besonders üblen Charaktereigenschaften vererbt. So öffnete Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, per SMS die Tür zu Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für die Maskenlobbyistin Andrea Tandler. Deren Vater Gerold Tandler und Franz Josef Strauß waren CSU-Amigos im oben beschriebenen Sinn. Andrea Tandler wechselte Emails mit Spahn, und anschließend bestellte das Ministerium große Mengen bei der Firma Emix aus der Schweiz. Für die sucht Andrea Tandler Kunden auf dem deutschen Markt.

Hohlmeier will davon nicht profitiert haben. Jedenfalls haben andere Firmen, die ebenfalls Angebote abgegeben hatten, nie wieder etwas vom Ministerium gehört, aber Emix erhielt Aufträge zu, sagen wir mal, für das Unternehmen günstigen Konditionen. Insgesamt sollen rund 800 Millionen Euro umgesetzt worden sein, was Frau Tandler eine mindestens siebenstellige Altersversorgung eingebracht haben dürfte. Auch der Freistaat hat inzwischen bei Emix eingekauft. Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn hat inzwischen Strafanzeige erstattet. Für die CSU und Markus Söder wird die Sache inzwischen immer ungemütlicher, zumal noch weitere Mandatsträger der CSU verwickelt sind.

Alles nur Einzelfälle, würde die Union gern geltend machen. Dass das nicht so ist, macht schon die große Anzahl von Beteiligten klar. Vielleicht wird die nächste Amigo-Affäre noch mal eine Nummer größer.

Wie gesagt: Alles ohne Mitwirkung der FDP. Auch SPD, Grüne und AfD sind (bisher) nicht beteiligt. Das Problem bleibt an den C-Parteien hängen, und es ist vor allem nicht das einzige. Denn die CDU hat mit Armin Laschet gerade erst einen neuen Vorsitzenden gewählt. Und in den ersten beiden Monaten tat die Aachener Schwabbel-Grinsbacke bisher – nichts. Jedenfalls nichts, das man mit der Lösung irgend eines Problems in Verbindung bringen könnte. Vielleicht war Laschet nur zu lang in der Lehre bei Angela Merkel und hat die meiste Zeit das Aussitzen geübt. Nur: Solches Spezialwissen wird ihm in diesen Zeiten nichts nützen. Da, wo ein Macher gefragt ist, meldet sich Laschet immer erst als Letzter zu Wort. Was er dann sagt, sind regelmäßig nur Plattitüden und Textbausteine.

Zu allem Überfluss liegt in München auch noch Markus Söder auf der Lauer, der Laschet nur zu gern die Kanzlerkandidatur streitig mache würde. Gerät Söder womöglich noch in den Strudel des beschriebenen Skandals, hat sich das Problem vielleicht für Laschet erledigt, und er darf darauf hoffen, im September zum Bundeskanzler gewählt zu werden. Aber sehr wahrscheinlich ist das nicht, denn auch Laschet hat noch eine Maskenleiche im Keller: Laschets Sohn Johannes („Joe“) arbeitet als Mode-Influencer für die Modefirma Van Laack. Aufgrund seiner Kontaktvermittlung bestellte die NRW-Landesregierung zunächst 1,25 Millionen Masken bei Van Laack – ohne Ausschreibung. Nachdem Zweifel am Verfahren aufkamen, wurde der Auftrag zurückgezogen und doch noch ausgeschrieben. Dagegen wehrt sich nun Van Laack. Einer der Gründe: Die insgesamt 1,25 Millionen produzierten Masken seien für die Polizei in NRW produziert worden und trügen das NRW-Logo. „Die können wir ja nicht einfach an Edeka oder nach Amerika weiterverkaufen“, erklärt man bei Van Laack.

Wie das ausgeht, ist noch offen. Aber auf jeden Fall schadet es Laschet. Beide Unions-Anwärter für die Kanzler-Kandidatur sind also angeschlagen. Davon profitiert die SPD aber kaum. Die hatte zwar als erste Partei einen Kanzlerkandidaten nominiert, aber davon keinerlei Vorteil. Denn mit dem amtierenden Finanzminister Olaf Scholz schickt sie einen Kandidaten mit dem Charisma eines pensionierten Bilanzbuchhalters ins Rennen, der für sein aktuelles Amt vielleicht wie geschaffen erscheinen mag, im Rennen um die Kanzlerschaft aber schnell an seine Grenzen stoßen dürfte. Überhaupt hat die Partei von Willy Brandt, Johannes Rau und Helmut Schmidt seit Jahren ein Führungsproblem: In schneller Folge werden immer blassere Genossen mit der Parteiführung betraut, besondere Ausstrahlungskraft und die Fähigkeit, Menschen zu überzeugen und mitzureißen, gehen ihnen allen vollständig ab.

Und da kommt Annalena Baerbock ins Spiel: Die eloquente Ko-Vorsitzende von „Bündnis 90 / Die Grünen“ weiß genau, was sie will. Zwar wird sich das Spitzenduo, zu dem außerdem der ebenfalls gut vermittelbare und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Robert Habeck gehört, bis nach Ostern Zeit lassen mit der Auflösung der Kanzlerkandidatur-Frage, aber ich lege mich schonmal fest auf Annalena Baerbock. Der studierte Germanist, Philosoph und Philologe Habeck war vor seiner Zeit als Berufspolitiker als Schriftsteller erfolgreich. Auch er könnte gewiss ein guter Bundeskanzler werden, wenn nicht sogar ein sehr guter.

Aber zum einen gibt es bei den Grünen die Quote. Das heißt: Jedes Amt wird mit der Frau besetzt, wenn eine Frau und ein Mann es zugleich beanspruchen. Habeck sagt dazu sinngemäß: „Wenn Annalena als Frau sagt, sie will, dann macht sie es, das ist ganz klar.“ Zum anderen sprechen auch sachliche und fachliche Gründe für Baerbock: Sie verfügt über ausgezeichnete Sachkenntnisse, bereitet sich zu allen Anlässen sorgsam und gründlich vor, tritt selbstbewusst und bestimmt auf, bleibt dabei aber sachlich und fair. Habeck lässt in Fernsehdiskussionen, also den einzigen Gelegenheiten, bei denen man die beiden üblicherweise sieht, mitunter Schwächen erkennen, wenn er sich zu Themen äußern soll, mit denen er nicht gerechnet hat.

Verglichen mit Armin Laschet, dem Zögerer und Zauderer mit dem Hang zu halbseidenen Maskengeschäften, und Markus Söder, der auf einmal anfing, Bäume zu umarmen, und der jetzt angeblich sogar Bienen geküsst haben soll, müssen sich die beiden wahrlich nicht verstecken, und hinter Olaf Scholz, dem furztrockenen Verwalter mit einer Vorgeschichte als Schröder-Unterstützer bei der Einführung von Hartz-IV und „Rente mit 67“, ebenfalls nicht.

Die Grünen haben also ein Luxusproblem, vergleicht man sie mit der CDU/CSU und der SPD. Egal, wen sie aufstellen – sie haben tatsächlich eine reelle Chance auf die Kanzlerschaft und darauf, am Ende vor der SPD zu landen, wenn. Ja, wenn. Wenn uns nämlich, was ja eigentlich zu erwarten ist, die Impfpannen und der Testnotstand noch eine Weile begleiten und zudem die zuvor kurz angerissenen Affären der Union nicht gleich aus der Welt zu schaffen sind, könnte sich das bei der Bundestagswahl für CDU und CSU sehr nachteilig auswirken. Was das Ausscheiden von Angela Merkel auslöst, kann man noch gar nicht absehen, aber zum Vorteil der Unionsparteien wird es garantiert nicht sein.

Also gewöhnen wir uns schon mal daran, dass die Tagesschau anfängt mit: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Bundeskanzlerin Annalena Baerbock hat heute …“.

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