Die Amerika-Liebe der Deutschen bekommt tiefe Risse.
Liebe Amis, vielleicht ist es euch ja nicht ganz klar, aber in uns Deutschen habt ihr seit Jahrzehnten die allerbesten Freunde. Freunde, die mit euch durch Dick und Dünn gehen, sozusagen, bildlich gesprochen.
Denn wir Deutschen verehren euch. Unsere Bewunderung gilt eurer Verfassung, eurem beständigen Eintreten für menschliche Grundrechte. Für die Freiheit vor allem, und dazu gehören natürlich auch die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit, und euer weltweites Engagement zur Wahrung dieser Rechte. Dass ihr dabei mitunter ganz nebenbei auch die Interessen eurer international operierenden Wirtschaftsunternehmen im Blick habt – wer wollte es euch verübeln.
Wir beneiden euch. Um euer Rechtssystem zum Beispiel, das die meisten Deutschen aus vielen eurer Fernsehserien besser kennen als das eigene. Wenn auch manches davon in unseren Augen mitunter merkwürdig anmutet, wie zum Beispiel die Einflussnahme von Streitparteien auf die Zusammensetzung der offenbar in jedem Gerichtsverfahren obligatorischen Juries, so überwiegt doch die Hochachtung vor der Effizienz eures Systems. Und um Hollywood natürlich, um eure Präsidenten, na ja, um manche davon, Kennedy natürlich, sogar Clinton, um eure großen Künstler.
Wir respektieren euch so sehr, dass wir eure Kultur, gemeint ist dabei vor allem die mediale, immer ein wenig zeitversetzt, aber dafür annähernd Eins zu Eins übernehmen. Wir haben Respekt vor euren bedeutenden Universitäten und deren Absolventen, lassen dabei die Tatsache wohlwollend unter den Tisch fallen, dass deren Besuch nur den Sprösslingen reicher Leute und ein paar Stipendiaten möglich ist.
Unsere Affinität zu euch ist derart ausgeprägt, dass hierzulande jeder Siebtklässler weiß, dass die Hauptstadt von Texas Austin ist und nicht das viel größere Houston. Zugleich wissen wir, dass selbst einigermaßen gebildete US-Bürger des gleichen oder ähnlicher, nicht an einer Küste gelegener Bundesstaaten bei dem Versuch, Deutschland zu verorten, mit dem Finger auf dem Globus gern irgendwo in die Nähe von Saudi Arabien oder Aserbaidschan tippen. Sei’s drum, ist ja auch nicht so wichtig, so lange Bruce Springsteen noch regelmäßig zu Konzerten hierher gebracht wird.
Wir sind euch unendlich dankbar. Diejenigen unter uns, die zu jung sind, um es selbst erlebt zu haben, erfahren in der Schule davon, wie ihr unserem Land nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen habt, und nicht nur das, wie ihr uns mit sanfter Gewalt die Demokratie beschertet und die Presse- und die Meinungsfreihet und überhaupt für alles den Grundstock legtet, auf das wir heute stolz sein können. Dass ihr uns zugleich mit dem Turbo-Kapitalismus überziehen musstet, war ja wohl kaum zu vermeiden, nehmen wir euch darum nicht übel.
Alles in allem: Wir Deutschen lieben euch Amerikaner, in Treue fest, seit nunmehr fast siebzig Jahren. Trotz Vietnam und Guantanamo.
Und was macht ihr? Ihr hetzt uns eure Spione vom NSA und anderen Geheimdienst-Organisationen auf den Hals, lasst jedes Telefonat mitschneiden, das irgendwer von uns mit irgendwem auf der Welt führt, jede Email abspeichern, die irgendwer von uns an irgendwen auf der Welt schreibt. Vermutlich liefert euch Google unsere Internetverbindungen und Microsoft Aufklärung darüber, mit welchen Computerprogrammen wir was machen. Facebook wird euch den Rest über jeden Einzelnen von uns berichten. Eure Missachtung wird auch dadurch nicht besser, dass, wie es den Anschein hat, die uns Regierenden bei dieser schmutzigen Bespitzelung zu euren willfährigen Komplizen wurden – alles im Namen der Terrorbekämpfung, diesem für wirklich jeden Rechtsbruch zu missbrauchenden Totschlagwort, dass ihr mit der gleichen hinterhältigen Berechnung einsetzt wie die Leute von der FDP den „Verlust von Arbeitsplätzen“, um damit alle nur denkbaren Schweinereien zu begründen. Mit an Bord waren ja wohl auch deutsche Geheimdienste, allen voran der BND. Erfahrungsgemäß bedeutet das aber nicht so viel, man weiß ja, dass die nie wirklich etwas mitbekommen. Und unsere Regierung ist jetzt zum Rumeiern gezwungen, will Bundeakanzlerin Angela Merkel nicht mitten im Wahlkampf zugeben müssen, dass sie ziemlich genau Bescheid wusste über diese unfassbare Sauerei.
Obgleich ihr es verdient hättet: Es werden jetzt nicht gleich alle Deutschen zu Amerika-Hassern, beileibe nicht. Aber euer Image hat Kratzer bekommen. Die sind besonders tief durch den Umstand, dass es überhaupt keinen Unterschied zu machen scheint, ob euer Präsident nun Bush oder Obama oder sonstwie heißt. Gerade von Barack Obama hatten wir wirklich etwas Anderes erwartet. Schon, dass er euer unrechtmäßiges Straflager auf Kuba nicht geschlossen hat, machte uns misstrauisch, und an eine Reihe weiterer Wahlversprechen scheint er sich auch nicht mehr zu erinnern. Dass er jetzt aber auch noch unsere Botschaften und die der EU verwanzen ließ, nehmen wir ihm ernsthaft übel.
Schlimm ist, dass ihr zu allem Überfluss auch noch einen der Eurigen, der sich soeben mit viel Zivilcourage den Rest seines Lebens ziemlich versaut zu haben scheint, als Verbrecher jagt, statt euch um die zu kümmern, die den Schlamassel angerichtet haben und die wirklichen Ganoven sind. Edward Snowden jedenfalls solltet ihr gefälligst in Ruhe lassen. Unsere Hoffnung ist, dass sich Hollywood der Sache annimmt und den Stoff verfilmt. Und zwar nicht, wie sonst, als vor Patriotismus triefendes Machwerk, sondern unter Achtung der Maßstäbe, die ihr selbst zu vertreten vorgebt, einschließlich einer gewissen Treue zur Wahrheit.
Noch ein Wort an sie, Mister Obama: Lassen sie beim nächsten Mal bitte ihr Hemd besser zu.