Artikel aktualisiert am 27.05.2018
Fliegerbombe mit Säurezünder in Viersen gefunden und gesprengt
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Das war ja vielleicht ein Spektakel! Als es gestern Abend um fünf vor sieben an der Haustür klingelte, dachten wir noch an nichts Böses. Aber der Besucher bescherte dann doch einiges Ungemach: Innerhalb einer Viertelstunde hätten wir das Haus zu verlassen, bedeutete er, weil eine bei Bauarbeiten entdeckte Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg uns ansonsten in Gefahr zu bringen drohte. Die Entschärfung könne sich bis nach acht, vielleicht sogar zehn Uhr hinziehen.
Also rasch die Papiere einstecken, Jacke überziehen, und raus. Das Auto mitnehmen? Ist wohl besser. Wir fahren ein kurzes Stück durch die Innenstadt, bis hinter die Absperrungen. Und wohin jetzt?
Mein gewöhnlicher Aufenthaltsort außerhalb des Fernsehsessels ist meine Stammkneipe. Aber die liegt mitten im Evakuierungsgebiet, Sicherheitskräfte verwehren den Zugang. Die einzige gastronomische Einrichtung in der Nähe, die zugänglich scheint, ist das mexikanische Restaurant, das ich zuvor noch nie betreten habe. Dann mal auf zum Mexi.
In der Stadt laufen so viele Menschen herum, wie sonst nie um diese Zeit. Überall Polizisten und Feuerwehrleute, dazu deren Fahrzeuge. Warum die ständig hin- und herfahren müssen, bleibt unergründet. Ebenso der Umstand, dass alle ihre Blaulichter eingeschaltet haben. Und natürlich das Martinshorn, auch dann, wenn sonst keine anderen Fahrzeuge auch nur in Sichtweite sind. Das alles wirkt, als wäre eine Horde Sechsjähriger dabei, sich am Tag der offenen Tür in den Feuerwehrautos auszutoben.
Gegen halb neun wird beim Mexikaner unser Abendessen serviert, ausgesprochen lecker. Irgendwelche Informationen sind vor Ort, speziell bei dem Ordnungshüter an der Straßenkreuzung gegenüber, nicht zu kriegen. Der sorgt dafür, dass sich an seiner Sperre niemand durchmogelt und glaubt, dass, sollte es etwas Neues geben, er das als Allerletzer erfahren würde.
Bleibt das Internet. Mein iPhone meint, es gehe um eine 250-Kilo-Bombe mit Säurezünder. Letzterer verhindere die Entschärfung des Sprengkörpers, weshalb das Ding gesprengt werden müsse. RP-Online steuert die Erkenntnis bei, dass derselbe Sprengmeister am Werk ist, der zuletzt bei ähnlicher Gelegenheit halb München in die Luft gejagt hat. Na, prima, das macht Mut!
Was wohl die Katzen machen, die wir zurücklassen mussten, rätselt meine Frau. Das, was sie immer machen, versuche ich sie zu beruhigen: Schlafen, fressen, weiterschlafen, wieder fressen. Bis es knallt, vermute ich. Da es jetzt schon nach neun ist, rechne ich jeden Augenblick damit. Der Mexikaner will auf jeden Fall um elf Uhr schließen, dann müssen wir sehen, wo wir bleiben. Er lässt den Fernseher laufen, N24, meist Werbung.
Ein Paar kommt nach der wiederholten Umrundung des Evakuierungsgebietes auch wieder vorbei, um ein Bier zu trinken, man gewöhnt sich dran. Auch daran, dass die beiden keine Informationen mitbringen. Niemand weiß irgendwas.
Von mir erfahren sie das Neueste aus dem Netz. Auch die absolut genialste Nachricht des Abends lese ich ihnen vor: „Bombe in Viersen soll gesprengt werden“, titelt Bild.de, und schreibt dann: „Nach dem Fund einer Fliegerbombe ist die Innenstadt evakuiert worden. Sie soll gesprengt werden.“ Kein Scherz, das steht da (wap.bild.de/newsticker-meldungen-26242592.bild.html).
Ich beginne zu verstehen, was der in München so erfolgreiche Sprengmeister bei uns will. Beruhigen kann uns das nicht.
Mittlerweile ist es elf Uhr. Aus dem Netz und durch die Aktuelle Stunde des WDR, der Mexikaner hat sich erbarmt und umgeschaltet, haben wir erfahren, dass die Räumung der Innenstadt sich verzögerte, weil etliche Bewohner ihre Wohnungen nicht verlassen wollten. Um uns herum diskutieren einzelne Gäste darüber, wie man die Sicherheitskräfte austricksen und in die Wohnung im Sperrgebiet zurückgelangen kann. Ich frage mich: Wie blöd kann man sein? Die Bombe liegt immer noch da rum, und keiner kann sagen, was passieren wird, wenn sie hochgeht.
Angeblich will man die Bombe mit Erde abdecken, bevor es kracht. In München hat man Stroh genommen und war dann wohl sehr erstaunt, als es brannte. Wir freuen uns, dass die Spezialisten ganz augenscheinlich die erworbenen Erfahrungen zur Weiterentwicklung ihrer Verfahrensweise nutzen wollen.
Fünf nach halb zwölf. Durch die offene Gaststättentür tritt jemand ein, der verkündet, die Bombe sei explodiert. Ich gehe raus und bekomme gerade noch mit, wie der Polizist an der Einmündung gegenüber das Blaulicht an seinem Auto abstellt. Es scheint vorbei zu sein, wie er bestätigt.
In unserer Straße gab es noch nie so viele freie Parkplätze, wie heute Nacht. Aber wir dürfen sie nicht nutzen: Ein ebenso eilfertiger wie unverschämter Absperr-Polizist verwehrt uns die Zufahrt in unsere Straße, wir müssen in der Parallelstraße parken. Der Grund bleibt unklar.
Sei es drum. Ein ereignisreicher Abend ist zu Ende. Die Explosion, von der wir überhaupt nichts gehört haben, hat wohl doch noch einige Verwüstungen angerichtet, aber nur auf engem Raum. Zwei Häuser werden, so ist zu hören, abgerissen werden müssen. In der Nachbarschaft der Fundstelle gingen noch etliche Glasscheiben zu Bruch und Dachziegel verloren. Unsere Wohnung bekam nichts ab.
Und was lernen wir daraus? Von der Bild-Zeitung wird man definitiv nur belogen.