Begrenzung der Flüchtlingszahlen ist gar nicht möglich

Mauer, Stacheldraht, Symbolbild

Mauer, Stacheldraht - © flyinger - fotolia.com

Die Debatten dieser Tage drehen sich überwiegend darum, dass die Regierung gefälligst die Zahl der Flüchtlinge reduzieren soll. Die Politik verwickelt sich in Diskussionen über vermeintlich geeignete Maßnahmen, Grenzzäune und -mauern sind im Gespräch, Transitzonen und, als Höhepunkt, der aus den Reihen der rechtspopulistischen AfD in den Streit eingebrachte Schießbefehl für Grenzer.

Ja, geht’s noch? Wir sprechen hier über Menschen, die, von Tod, Verfolgung und allen denkbaren Gewalteinwirkungen bedroht, aus Kriegsgebieten nach Europa flüchten – über weite Strecken zu Fuß oder auf nicht seetüchtigen Booten. Täglich erreichen uns neue Horrormeldungen über ertrunkene Männer, Frauen und Kinder.

Und die deutsche Bevölkerung teilt sich auf in solche, die in nie da gewesener Solidarität aktiv bei der Bewältigung dieser menschlichen Katastrophe helfen und diejenigen, die am liebsten einfach die Grenze dichtmachen und in letzter Konsequenz jeden erschießen wollen, der trotzdem versucht, deutschen Boden zu erreichen.

Dabei ist auch diesen Zeitgenossen klar (wenn sie denn im Gemeinschaftskunde-Unterricht hin und wieder anwesend waren), dass unser Grundgesetz, auf das dieselben Krakeeler sonst so stolz zu sein vorgeben, genau diesem Personenkreis Schutz zusichert – und zwar ohne die Benennung einer Obergrenze. Was auch erklärt, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu kam, eben dies einfach auszusprechen. Es ist nun einmal so.

Angestachelt von „besorgten Bürgern“, die mit PEGIDA und ihren Abwandlungen durch deutsche Städte ziehen und schwachsinnige Parolen wie „wir sind das Volk“ (was sie eben nicht sind) oder „Lügenpresse“ gröhlen (und das als Bürger des Landes mit einem der weltweit vermutlich freiesten und qualitativ besten Pressewesen) und so genannten Politikern von Parteien, die die Gunst der Stunde für ihre nationalsozialistische Stimmungsmache zu nutzen wissen, lassen sich viele verleiten, der Propaganda von vorbestraften Verbrechern und skrupellosen Agitatoren zu verfallen. Macht sich jemand, der erlogene Berichte über nie geschehene Vergewaltigungen an deutschen Mädchen oder andere Verbrechen durch Flüchtlinge über sein Facebook-Account teilt, noch ergänzt durch eigene entrüstete Kommentare, eigentlich Gedanken darüber, was er da anrichtet? Womit denn auch, fragt man sich immer öfter, denn es scheint wirklich so zu sein, dass sich ganze Demonstrationszüge zehn oder zwanzig Gehirnzellen teilen müssen; man schaue sich nur die bei PEGIDA-Demos aufgenommenen Interviews an. Obwohl also kaum nachgedacht wird, kann man  nur staunen, wie schnell die Meinungsbildung erfolgt, auch und vor allem da, wo es keine oder kaum Ausländer gibt, bei Menschen, denen noch nie im Leben ein syrischer Flüchtling begegnet ist.

Es ist nun einmal so, dass es zwei Gründe für eine offenherzige Hilfsbereitschaft gibt: Das schon erwähnte, im Grundgesetz geregelte Asylrecht und die Menschlichkeit. Die sollte man gerade bei den Zeitgenossen, die sich als Christen bezeichnen, womöglich regelmäßig zum Gottesdienst und zur Beichte gehen, unterstellen dürfen, denn Nächstenliebe und Barmherzigkeit sind der alles kennzeichnende Markenkern aller Konfessionen.

Aber das Gegenteil ist der Fall: Nicht nur in Ostdeutschland mit seiner durchweg eher atheistischen Bevölkerungsstruktur, nein, auch in tief religiösem Umfeld wird Flüchtlingen Ablehnung entgegengebracht, und woher die CSU die Berechtigung der Bezeichnung „christlich“ bezieht, ist inzwischen überhaupt nicht mehr zu erkennen. Polen als das katholischste Land Europas weigert sich gar, auch nur einen einzigen Flüchtling aufzunehmen, der muslimischen Glaubens ist. Dort beteiligen sich sogar kirchliche Amts- und Würdenträger an fremdenfeindlicher Hetze.

Was mit einer Abneigung beginnt, steigert sich bei vielen bis hin zu regelrechtem Hass. Rentner werden angeführt oder sozial Schwache, die ja nichts haben, während den Flüchtlingen „vorne und hinten alles reingeschoben wird“. Uninteressant, dass noch nicht ein einziger Rentner oder ein einziger Hartz-IV-Empfänger auch nur auf einen einzigen Cent wegen der Flüchtlingskrise verzichten musste. Uninteressant auch, dass keinem einzigen Flüchtling ein Leben in Saus und Braus finanziert wird, dass jeder von ihnen nach seiner meist anstrengenden, entbehrungsreichen und lebensgefährlichen Flucht auf so gut wie alles verzichten muss, was wir als Standard betrachten, statt dessen Monate in Massenunterkünften ohne jede Privatsphäre auf engem Raum festsitzt.

Gern genommen wird auch das Argument, dass es sich bei den meisten „nur“ um Wirtschaftsflüchtlinge handelt, denen kein Asylanspruch zusteht, dass diese gar das Asylrecht „missbrauchen“. Unter den Verfechtern dieser These dürfte durchaus der eine oder andere sein, dem schon mal ein Bauantrag abgelehnt wurde oder die Eintragung eines Steuerfreibetrages in die Lohnsteuerkarte. Kaum anzunehmen, dass er seinen Versuch als Missbrauch des Baurechts oder des Steuerrechts betrachtet. Bei Flüchtlingen hingegen ist das „Asylmissbrauch“. Und weggelassen wird dabei auch, dass der Anteil der Flüchtlinge aus den Ländern des Balkans auf inzwischen sechs Prozent gesunken ist. Zu guter Letzt: Dass die Behörden unendlich viel Zeit brauchen für die Bearbeitung von Asylanträgen, dass eine Rückführung nach erfolgter Ablehnung bisher nur bedingt verfolgt wurde, ist den Flüchtlingen beim besten Willen nicht anzulasten.

Klar ist, dass Deutschland allein die große Zahl der Flüchtlinge auf Jahre hinaus nur mit Mühe wird aufnehmen können. Das wissen auch die Politiker, weshalb sie gern von der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ reden. Dass das Augenwischerei ist, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass deutsche Politiker die Kriege im nahen Osten ebenso wenig beenden können, wie sie in der Lage sind, Terror-Regime zum Beispiel in Eritrea abzusetzen oder islamistische Mörderbanden dingfest zu machen. Was sie, neben der Ausschöpfung aller diplomatischen und wirtschaftlichen Mittel, tun könnten, wäre zum Beispiel damit aufzuhören, Waffen an Saudi-Arabien, Katar und andere Länder zu liefern, die islamistische Mörder unterstützen. Ölinteressen und Waffen-Lobbyisten verrichten hier ein unheilvolles Werk, dem sich Politiker wie der aktuelle Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) leider nicht entgegenstellen. Überhaupt haben derzeit wirtschaftliche Interessen bedauerlicherweise immer noch mehr Gewicht als menschliche.

Weil das so ist, sollten auch die wirtschaftlichen Folgen der Zuwanderung von Flüchtlingen nicht unerwähnt bleiben. Sicherlich wird irgendwann ein erheblicher Teil von ihnen wieder zurück gehen, wenn es die Lage erlaubt – das hat schon die Erfahrung mit der Balkan-Krise der neunziger Jahre gezeigt. Andere werden bleiben wollen und ihre Familien nachholen. Nicht alle sind syrische Ärzte oder Ingenieure, viele werden neben der deutschen Sprache noch wesentlich mehr an Ausbildung benötigen. Und dennoch: Allein die Tatsache, dass so viele junge Leute zu uns kommen, zeigt, dass es an uns liegt, aus dem Problem eine Lösung zu machen, eine Lösung nämlich für einen guten Teil unserer demographischen Schwierigkeiten durch die allgemeine Überalterung. Diese Chance muss allerdings konsequent genutzt und zunächst einmal in möglichst umfassende Bildung investiert werden – dann werden viele der Flüchtlinge mit ihren Familien hier bleiben und zur Sicherheit des Wohlstands in Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten.

Um zu einer globalen Auflösung der Problematik zu kommen, wird es notwendig sein, eine möglichst große Allianz zu schmieden, unter Überwindung elementarer Gegensätze Mächte wie die USA, Russland, China, die EU und etliche Staaten auf dem afrikanischen Kontinent und in Vorderasien zusammen zu bringen. Eine solche Allianz unter dem Dach der UNO wird vermutlich nötig sein, um die Gebiete zu befrieden, aus denen die Flüchtlinge zu uns kommen. Und das wird einige Zeit brauchen, voraussichtlich etliche Jahre. Deutschland sollte seine Möglichkeiten nutzen, solche Prozesse zu befördern.

Während dieser Zeit gilt es der UNO genügend Geld zu geben, dass sie die Flüchtlinge in den riesigen Lagern rund um die Krisenherde wenigstens satt bekommt. Es wird dringend eine Einigung innerhalb Europas gebraucht. Und es wird in den Ländern Europas, vor allem aber in Deutschland, die Bereitschaft benötigt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Was nicht gebraucht wird, sind AfD, PEGIDA und von Neid und Missgunst auf was auch immer Besessene, die sich von vorbestraften Rattenfängern am Nasenring durch Dresden ziehen lassen, um anschließend fremdenfeindliche Häme und Hasskommentare durchs Netz zu schicken.

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